Universitätsklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie
Landeskrankenhaus
Müllner Hauptstraße 48
A-5020 Salzburg
Fax: +43 (0) 5 7255 – 26499
Email: mkg@salk.at
Univ. Prof. DDr. Alexander Gaggl
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Kraniofaziale Fehlbildungen
Die kraniofazialen Fehlbildungen umfassen Krankheitsbilder, die sowohl den Schädel (cranium) als auch das Gesicht (faciem) betreffen. Zu den Schädelfehlbildungen gehören Asymmetrien und Verformungen, die durch die Kopflagerung nach Geburt entstanden sind (lagebedingter Plagiocephalus), sowie die Kraniosynostosen, die bereits vor Geburt durch eine vorzeitige Verknöcherung einer oder mehrerer Schädelnähte verursacht wurden.
Kraniosynostosen können auch durch verschiedene Syndrome verursacht werden und sind dann häufig mit Gesichtsfehlbildungen und weiteren Erkrankungen verbunden. Zu diesen Syndromen zählen das Crouzon Syndrom, Apert Syndrom, Pfeiffer Syndrom, Saethre-Chotzen Syndrom oder Muenke Syndrom.
Zu den häufigsten Fehlbildungen des Gesichtsschädels gehören das Goldenhar Syndrom, das Franceschetti Syndrom sowie Gesichtsspalten.
Viele dieser Fehlbildungen sind sehr komplex und die Patienten werden daher von einem interdisziplinären Team betreut. In der Universitätsklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie findet einmal im Monat die Spezialsprechstunde für kraniofaziale Fehlbildungen statt. Weiterhin sind im Team des kraniofazialen Zentrums vor allem die Neurochirurgie, Kinderchirurgie, Hals-, Nasen und Ohrenheilkunde, Augenheilkunde, Logopädie, Kieferorthopädie und klinische Genetik involviert.
Die wichtigsten oben genannten Fehlbildungen mit den Behandlungskonzepten möchten wir im Folgenden kurz erläutern. Zum Formenkreis der kraniofazialen Fehlbildungen gehören noch viele weitere, allerdings sehr seltene Krankheitsbilder.
Aufgabe der Schädelnähte
In der folgenden Grafik sind die Schädelnähte beim Blick von oben auf den Kopf dargestellt. An den Kreuzungspunkten befinden sich die Fontanellen, die weichen Stellen des Säuglingskopfes, an denen das Gehirn nur bindegewebig bedeckt ist.
Die Schädelnähte ermöglichen bei der Geburt eine Verformung des Schädels, damit dieser durch den Geburtskanal im Becken passt. Nach der Geburt findet das Größenwachstum des Schädels durch Wachstum des Gehirns statt. Dieses drückt die Schädelknochen auseinander, an den Nähten findet eine Knochenneubildung statt. Bereits mit 2 Jahren hat das Gehirn etwa 80% der Erwachsenengröße erreicht, es ist daher der am schnellsten wachsende Körperteil. Nach Abschluss des Wachstums verknöchern die Schädelnähte. Kommt es zu einer vorzeitigen Verknöcherung einer oder mehrerer Schädelnähte, entstehen abnormale Kopfformen und Volumina. Das Wachstum ist quer zur verknöcherten Naht eingeschränkt, zum Ausgleich schafft sich das Gehirn mehr Platz entlang der entsprechenden Naht, es entstehen für die jeweilige Nahtverknöcherung typische Kopfformen.
Abnorme Schädelformen
Lagebedingter Plagiocephalus
Plagiocephalus bedeutet „Schiefkopf“. Eine Sonderform bei den Schädelfehlbildungen nimmt der lagebedingte Plagiocephalus ein. Hierbei liegt das Kind vermehrt auf einer Seite des Hinterkopfes. Der Schädel von Säuglingen ist noch verhältnismäßig weich und leicht verformbar. Durch den einseitigen Druck entsteht auf der betroffenen Seite eine Abflachung des Hinterkopfes und in ausgeprägteren Fällen eine Verschiebung des Ohres und Gesichtes auf der gleichen Seite nach vorne. Beim lagebedingten Plagiocephalus haben die Schädelnähte eine normale Funktion und es handelt sich um eine rein kosmetische Schädelverformung. Seit den Eltern seit den 90er Jahren empfohlen wird, die Kinder auf dem Rücken schlafen zu lassen, haben die Fallzahlen zugenommen.
Als Therapie sollte das Kind auf die prominente Hinterkopfseite gelagert werden. Dies kann, solange sich das Kind noch nicht selbständig dreht, durch eine orthopädische Matratze unterstützt werden. In ausgeprägten Fällen kann eine Helmtherapie sinnvoll sein. Eine operative Korrektur wird in keinem Fall durchgeführt.
Kraniosynostosen
Bei den Kraniosynostosen entsteht je nach vorzeitig verknöcherter Schädelnaht eine typische Kopfform. Ist nur eine Schädelnaht betroffen, sind funktionelle Auswirkungen nicht sehr häufig. Es kann aber in seltenen Fällen durch Einschränkung des Schädelwachstums zu einem erhöhten Hirndruck kommen. Daher ist eine regelmäßige Kontrolle der Patienten in einer Spezialambulanz für kraniofaziale Fehlbildungen sinnvoll. In regelmäßigen Abständen sollte von einem Augenarzt der Augenhintergrund untersucht werden, hier können sich Zeichen für einen erhöhten Hirndruck zeigen. Wenn keine syndromale Grunderkrankung vorliegt, kann in der Regel mit einer Operation im ersten bis zweiten Lebensjahr die Fehlbildung korrigiert werden und weitere Eingriffe sind nur sehr selten notwendig. Die Ursache ist bis heute nicht bekannt.
Therapie der Kraniosynostosen
Die Kopfform und das Wachstum lassen sich bei einer vorzeitig verknöcherten Schädelnaht nicht ausreichend durch Helmtherapie, Osteopathie, Physiotherapie oder Lagerungsmaßnahmen beeinflussen. Wenn nur eine sehr milde Ausprägung vorliegt, wird in manchen Fällen keine operative Therapie empfohlen. Meist wird aber bei einer Kraniosynostose eine operative Korrektur empfohlen. Die Art der Operation ist vom Alter des Patienten und der Art der Kraniosynostose abhängig.
Endoskopische Dekompressionsoperation
Wenn das Kind frühzeitig vorgestellt wird, ist eine minimal invasive endoskopisch assistierte Operation möglich. Hierbei wird über einen kleinen Schnitt unter Sicht mit dem Endoskop die betroffene Naht entfernt und zum Teil weitere Entlastungsschnitte im Knochen durchgeführt. Im Anschluss wird das Kopfwachstum durch eine Helmtherapie gesteuert und die Schädelform korrigiert. Für den Erfolg der Operation muss der Knochen noch ausreichend weich und formbar sein, daher ist diese Technik nur bis zum vollendeten dritten Lebensmonat möglich. Eine Beschreibung der Technik als Video ist vom European Reference Network (ERN Cranio) erstellt worden:
Offene Korrektur
Wenn das Kind älter als drei Monate ist, wird in der Regel eine offene Korrektur über einen Schnitt von Ohr bis Ohr durchgeführt. Die weitere Technik ist davon abhängig, welche Nähte betroffen sind.
Scaphocephalus
Bei etwa 40% der Kraniosynostosen verknöchert die Sagittalnaht vorzeitig. Es entsteht ein langer, schmaler Kopf, die Stirn ist häufig vorgewölbt und das Hinterhaupt kann spitz zulaufend sein. Der Scheitelpunkt des Kopfes ist nach vorne verschoben, über der Naht ist ein Wulst tastbar.
Bei der Sagittalnahtsynostose findet die Therapie in unserem Zentrum altersabhängig statt. Wenn sich die Patienten frühzeitig vorstellen, ist eine endoskopische Dekompression mit anschließender Helmtherapie bis zum Alter von 3 Monaten gut möglich. Bis zum Alter von ca. 6 Monaten wird in einer offenen Operation die verknöcherte Naht entfernt und die seitlichen Schädelanteile durch Einschnitte geschwächt. Ist der Knochen bereits zu kräftig für diese „passive“ Operation, wird der Schädel durch ein sog. Remodelling in eine normale, verbreiterte Kopfform gebracht und mit selbstauflösenden Platten befestigt.
Trigonocephalus
Beim „Dreiecksschädel“ ist die metopische Naht vorzeitig verknöchert. Dadurch kommt es zu einer im seitlichen Bereich nach hinten fliehenden Stirn und Augenbrauenregion. Die metopische Naht steht prominent als Wulst in der Stirnmitte, von oben gesehen ist der Schädel dreiecksförmig ausgebildet. Als Therapie ist eine frühzeitige endoskopische Operation bis zum Alter von 3 Monaten mit Einschränkung möglich und führt nicht immer zur vollständigen Korrektur der Fehlbildung. In den meisten Fällen wird ein sog. Fronto- Orbitales Advancement und Remodelling durchgeführt. Dabei werden die Stirn und der Oberrand der Augenhöhlen nach vorne ausgeformt und mit selbstauflösenden Platten befestigt. Die Operation wird im Alter von 9-15 Monaten durchgeführt.
Vorderer Plagiocephalus (Schiefkopf)
Im Gegensatz zum lagebedingten Plagiocephalus ist bei diesen Patienten die Kranznaht einseitig verknöchert. Es entsteht dadurch eine asymmetrische Schädelform. Stirn und Augenbraue sind auf der betroffenen Seite nach hinten verlagert, das Ohr nach vorne verschoben und das Hinterhaupt teilweise nach vorne verlagert. Kompensatorisch kommt es je nach Ausprägungsgrad zu einer Vorwölbung der Stirn auf der Gegenseite. Von der Asymmetrie sind auch die Schädelbasis und das Gesicht betroffen. Die Nasenwurzel weicht zur betroffenen Seite ab und die Augenhöhle ist stirnwärts verzogen.
In diesen Fällen kann bis zum Alter von 3 Monaten eine endoskopische Operation mit anschließender Helmtherapie durchgeführt werden. Bei älteren Kindern ist die Therapie der Wahl ein Fronto- Orbitales Advancement und Remodelling. Wie beim Trigonocephalus werden dabei die Stirn und der Oberrand der Augenhöhlen nach vorne ausgeformt und mit selbstauflösenden Platten befestigt. Die Asymmetrie des Gesichtes kann dabei nicht korrigiert werden. In den meisten Fällen bessert sich diese aber nach der Operation.
Brachycephalus
Beim „Kurzschädel“ sind beide Kranznähte vorzeitig verknöchert. Dadurch kann das Gehirn den Schädel nicht ausreichend in die Länge drücken und es entsteht ein kompensatorisches Wachstum in die Breite und Höhe. Ist das Höhenwachstum sehr ausgeprägt, spricht man von einem Turmschädel (Turricephalus).
Die Therapie wird je nach Ausprägung in zwei Etappen durchgeführt. In ausgeprägten Fällen wird in einer ersten Operation im Alter von ca. 6 Monaten das Hinterhaupt durch eine sogenannte Distraktion über 10-15 Tage nach hinten verlängert. Im Alter von 9-15 Monaten wird durch ein Fronto- Orbitales Advancement die Stirn und der Oberrand der Augenhöhlen nach vorne ausgeformt und mit selbstauflösenden Platten befestigt.
Hinterer Plagiocephalus
Die Lambdanahtsynostose stellt die seltenste Form der Kraniosynostosen dar. Bei einseitiger Ausprägung ist der Schädel asymmetrisch verformt. Über dem Warzenfortsatz ist ein Wulst zu tasten, der Schädel ist auf der betroffenen Seite abgeflacht, das Ohr und die Stirn sind nach hinten verlagert und die Gegenseite im Stirn- und Scheitelbeinbereich kompensatorisch vorgewölbt. In sehr seltenen Fällen können auch beide Lambdanähte betroffen sein. Die Therapie besteht in der Regel in einer offenen Korrektur mit Ausformung und Erweiterung des Hinterhauptes im betroffenen Bereich.
Syndromale Kraniosynostosen
Hierunter sind die Erkrankungen zusammengefasst, bei denen im Rahmen einer syndromalen Grunderkrankung eine Kraniosynostose auftritt. Bei diesen Erkrankungen ist ein genetischer Defekt bekannt und sie werden mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% weitervererbt. Die häufigsten Syndrome sind das Crouzon Syndrom, Apert Syndrom, Pfeiffer Syndrom, Saethre-Chotzen Syndrom und Muenke Syndrom. Alle haben gemeinsam, dass eine oder häufig auch mehrere Schädelnähte vorzeitig verknöchern und eine mehr oder weniger ausgeprägte Unterentwicklung des Mittelgesichtes vorliegt. Je nach Syndrom liegen weitere Fehlbildungen vor wie z.B. verwachsene Finger und Zehen (Syndaktylien) beim Apert Syndrom oder verwachsene Wirbelkörper und Ellenbogen. Es können auch Lippen-Kiefer-Gaumenspalten auftreten.
Bei diesen Patienten stehen neben der Ästhetik auch funktionelle Probleme im Vordergrund. Aufgrund der Einschränkung des Hirnwachstums kann es zu einem erhöhten Hirndruck kommen. Je nach Ausprägung kann bereits kurz nach der Geburt eine Entlastung des Hirnschädels notwendig werden. Aufgrund der Unterentwicklung des Mittelgesichtes liegen häufig Einschränkungen in der Atmung, Ernährung und Sprachentwicklung vor. Die Behandlung ist komplex und in der Regel sind viele Fachdisziplinen beteiligt.
Gesichtsfehlbildungen
Zu den häufigsten Gesichtsfehlbildungen zählen nach den Lippen-Kiefer-Gaumenspalten das Goldenharsyndrom und das Franceschettisyndrom. Das Goldenharsyndrom ist eine meistens einseitige, in seltenen Fällen auch beidseitige Fehlbildung, bei der Gesichtsanteile unterentwickelt sind. Betroffen sind vor allem der Unterkiefer, das Ohr der Wangenknochen, Oberkiefer und die Weichteile. In ausgeprägten Fällen ist auch die Augenhöhle betroffen. Typisch für das Goldenharsyndrom sind auch Haut- und Knorpelanhängsel vor dem Ohr.
Das Franceschettisyndrom liegt in der Regel symmetrisch vor. Auch hier sind von der Fehlbildung der Unterkiefer, die Ohren, Wangenknochen und der Oberkiefer betroffen. Weiterhin liegen häufig Lidfehlbildungen und in manchen Fällen auch Spaltbildungen vor. Die Ausprägung dieser beiden Erkrankungen kann sehr unterschiedlich sein und daher unterscheidet sich auch die Behandlung von Patient zu Patient sehr. In ausgeprägten Fällen steht zunächst die Schaffung eines sicheren Atemweges und eine ausreichende Ernährung im Vordergrund. Die Hörfunktion ist häufig eingeschränkt und kann durch Knochenleitungshörgeräte verbessert werden. Die unterentwickelten Gesichtsanteile können durch verschiedene Operationstechniken entweder verlängert oder rekonstruiert werden.
Die Behandlung ist bei beiden Fehlbildungen komplex und kann nur im interdisziplinären Team bewältigt werden.