Der Informatiker Rainer Trummer (55) aus der Stadt Salzburg hat eine lebenslange Leidensgeschichte hinter sich: Er leidet an einer Kraniosynostose. Das heißt, eine der Schädelnähte ist während der Kindheit zu früh verknöchert, was zu einer Deformation des Schädels geführt hat. „Vor allem als Kind wurde ich oft gehänselt. Später haben die Leute zwar weniger gesagt, aber man hat gemerkt, was sie denken. Das hat bei mir natürlich Spuren hinterlassen.“
Lange suchte Trummer nach einer Ärztin oder einem Arzt, der ihm helfen könnte. Eine bereits im Ausland geplante Kontaktaufnahme mit einem Spezialisten auf dem Gebiet der Kraniochirurgie wurde wegen der Corona-Pandemie abgesagt und konnte nicht nachgeholt werden. Dann wandte sich der Salzburger an Professor Alexander Gaggl, Vorstand der Uniklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (MKG) am Uniklinikum Salzburg, und dessen Team: „Ich kannte Professor Gaggl seit einem anderen Eingriff im Jahr 2012 und hatte vollstes Vertrauen zu ihm.“
Professor Gaggl und sein Team entschieden sich für eine spektakuläre, aber gleichzeitig monatelange Behandlung: „Wir haben von Beginn an geplant, das optisch fehlende Hinterhaupt durch eine Prothese zu ersetzen. Allerdings standen wir vor der Herausforderung, dass die Kopfhaut sehr straff und kaum dehnbar ist.“ Also wurde Rainer Trummer im Vorjahr ein Ballon aus Kunststoff unter die Kopfhaut implantiert, der dann im Verlauf von mehreren Monaten soweit mit Kochsalzlösung gefüllt wurde, dass er die Größe des geplanten Implantats erreichte. Insgesamt wurden 260 Milliliter Kochsalzlösung in den Ballon gepumpt.
Dann das technisch Spektakulärste: Die Salzburger Landeskliniken haben seit 2021 am Uniklinikum ein Labor mit eigenen 3D-Druckern aufgebaut. Trummer sollte der erste Patient mit einem Implantat aus dem 3D-Drucker werden, das auch im Haus produziert wurde. „Möglich war das, weil wir mit dem Kumovis R1 einen 3D-Drucker haben, der Implantate aus PEEK-Kunststoff unter Reinraumbedingungen drucken kann“, erklärt Simon Enzinger, Geschäftsführender Oberarzt der Uniklinik für MKG.
Zudem erfüllt das Uniklinikum Salzburg nach einem längeren Qualifizierungs-Prozess alle regulatorischen, wissenschaftlichen und klinischen Vorgaben, um in der Klinik Implantate zu drucken und auch in den menschlichen Körper implantieren zu dürfen. Damit ist das Uniklinikum Salzburg europaweiter Vorreiter.
Hauseigene IT-Techniker unter der Leitung von Werner Wurm erstellten am Computer anhand von CT-Bildern des Patienten das Modell einer Hinterhaupt-Prothese, das mit einem Durchmesser von 12 und einer Dicke von bis zu 3 Zentimetern auf dem 3D Systems Kumovis R1 gedruckt wurde. Der Druckprozess dauerte rund 10 Stunden.
Am 10. Februar, wenige Tage vor dem 55. Geburtstag von Rainer Trummer, führten Professor Gaggl und Oberarzt Enzinger den Eingriff durch, der 6 Stunden dauerte – eine vergleichsweise „kurze“ Zeit. Enzinger: „Wir haben das Implantat mit 4 Platten und je 4 Schrauben an die Schädeldecke fixiert.“ Und mit einem Schmunzeln fügt er hinzu: „Das hält bombenfest!“
Gut 6 Wochen später sind die OP-Wunden weitestgehend verheilt: „Mir geht’s bestens, ich bin total glücklich!“, strahlt Rainer Trummer. „Ich habe nicht das Gefühl, ein Implantat im Kopf zu haben, habe aber jetzt einen völlig ‚normalen‘ Kopf. Es ist für mich die Erfüllung eines lebenslangen Traums.“
Die Uniklinik für MKG ist eines von 3 so genannten Typ-B-Expertisezentren am Uniklinikum Salzburg – konkret für Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalten und kraniofaziale Anomalien. Professor Gaggl: „Normalerweise führen wir Operationen bei Schädel-Fehlbildungen an Kindern durch – umso mehr freut es uns, dass wir jetzt einem langjährigen Patienten ein neues Lebensgefühl schenken konnten.“
Der Aufbau des 3D-Drucklabors ist Teil einer Digitalisierungsstrategie, die die Salzburger Landeskliniken seit dem Beginn der Corona-Pandemie konsequent verfolgen: „Wir wollten den positiven Schwung mitnehmen, den die Pandemie in diesem Bereich ausgelöst hat“, erklärt Dozent Paul Sungler, Geschäftsführer der Salzburger Landeskliniken und gelernter Chirurg: „Wir stehen für Digitalisierung im Sinne der Patientinnen und Patienten, der 3D-Druck und seine vielen klinischen Anwendungsmöglichkeiten sind hier ein zentraler Baustein.“
Stefan Leonhardt, Director Medical Devices bei 3D Systems, ergänzt: „Da für uns Patientensicherheit im Vordergrund steht, haben wir die vergangenen Jahre sehr viele Ressourcen in biologische sowie mechanische Testung gedruckter Implantate gesteckt, wovon innovative Kliniken und deren Patientinnen und Patienten nun profitieren. Das gesamte Team ist extrem stolz darauf, dass unsere Technologie nun den Einzug in die Patientenversorgung gefunden hat.“
Die Vorbereitungen für den nächsten großen Eingriff, bei dem ein Implantat aus dem 3D-Drucker eingesetzt wird, laufen bereits. Dozent Sungler: „Wir planen rund 30 solche Eingriffe im Jahr. Die Vorteile des eigenen Labors sind bestechend: Ein Implantat steht innerhalb von 2 bis 3 Tagen zur Verfügung. Würden wir es extern bestellen, würde es 2 bis 3 Wochen dauern und rund das Dreifache kosten.“